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Von New Delhi ...

       copyright: © Annette Cordes, November 2o12

... nach Calcutta war genau noch einmal der Kultursprung, wie von Frankfurt nach Delhi. Mit dem Taxi fuhren wir zum Hotel. Auf dem Weg fuhren wir über eine Brücke und der Taxifahrer hielt uns an das Fenster zu schließen, da der unheimliche Gestank uns schaden könnte. "Früher war das Flussufer nicht bewohnt, diese Müllkippe hätte uns umgebracht, heute leben Menschen direkt am Flussufer. Unglaublich wie der Mensch sich adaptiert." Wir erreichten das Hotel. Ein, ich weiß nicht wie viel Sterne Hotel. Solche Pracht hatte ich noch nie erlebt.
 
Mein Zimmer hatte ein riesen Bett mit tausend Kissen. Das Bad schien aus purem Marmor, es standen überall Früchte und leise Musik untermalte die sanfte Atmosphäre. Ich war hingerissen. Ich nahm ein Bad in gutriechendem Schaum, frottierte mich ab mit superweichen Handtüchern, legte mich aufs softige Bett und schlummerte.
 
Ein Fahrer holte mich ab. Mit Frau Brauer ging er zum Swimming Club. Wir waren zum Dinner verabredet. Der Fahrer bog in eine groß angelegte Einfahrt. Ich erschrak: Ein kleines Mädchen lag an der Seite des Torbogens. Ich schrie. Stieg aus. Das Mädchen war fast tot. In den riesigen aufgequollenen Augen schwammen kleine Würmer. Ich rief:" Ruft einen Krankenwagen!" Nichts passierte. Ich versuchte das Kind in das Auto zu heben. Doch der Fahrer schlug blitzschnell die Tür zu und schrie mich an. Er zerrte mich ins Auto und fuhr schnur stracks zur Villa des Swimming Clubs. - Dort angekommen, lief ich sofort in den Saal, wo viel Menschen waren. Es wurde Bingo gespielt. Ich schrie: "Vor der Tür stirbt ein kleines Mädchen. HELP!!!!!!!"
 
Nichts tat sich. Frau Brauer packte mich und stellte mich Herrn Dr. Singh vor, Diamantenhändler. Er sagte: "Beruhige Dich."" Wie kann ich beruhigt sein, wenn niemand mir hilft dem Mädchen zu helfen?" Er nahm meine Hand und versuchte mich zu beruhigen. Ich tobte und schließlich ging er zu Fuß mit mir raus und das Mädchen lag noch immer da. Er sagte, sie sei auf der Reise in die Unendlichkeit." Bla - bla - bla." Ich packte ihn bei den Schultern und schrie :" Du alter Mann hast Verantwortung, Du wirst niemals wieder lachen, wenn Du mir jetzt nicht hilfst." Er erstarrte über meine Grobheit. Er rief mit einer Pfeife den Fahrer , gestikulierte wild und sagte. "Dieser Fahrer kann niemals eine Unberührbare in mein Auto legen. Aber wir lassen das Kind von jemand anderem abholen. Fünf Minuten später erschien ein alter Lastwagen. Das Mädchen, in Decken gehüllt und etwas Wasser trinkend, wurde abtransportiert. Wir gingen zurück, ich konnte weder essen noch smalltalken und ich fühlte mich wie ein ausgenommenes Hähnchen.
 
Zurück im Hotel, wollte ich noch ein wenig spazieren gehen. Die Nacht war warm, angenehmer kleiner Wind. Gut auf der Haut. Die Gerüche sanft. Gleich neben dem Hotel lagen in Tüchern total verhüllt Menschen die schliefen. Sogar direkt am Rinnstein schliefen einige. Der Verkehr hatte nachgelassen. Ich kam im Gehen nicht vor ran, überall Schlafende. Unruhig lief ich zurück ins Hotel.
 
Nach einem mich erschlagenden Frühstücksbufett, trank ich nur diesen herrlichen Indischen Schwarzen Tee. Nahm dann ein Taxi und bat, mich ein wenig herum zu fahren. Ich hatte solches Glück. Der Taxidriver hatte Kunstgeschichte studiert. Taxifahren war das höchste was seine untere Kaste zuließ. Wir fuhren kreuz und quer und er erzählte mir die Geschichte Bengalens. Die Herrscher, die Kunst, die Natur, das tägliche Leben, heute und long ago. Ich war fasziniert. Er fragte mich ob ich christlich orientiert sei. Ich verneinte. Ob ich mal eine soziale Einrichtung sehen wolle. Ja , natürlich. Wir erreichten ein großes altes Haus. Überall sprangen Kinder herum. Kleine, mittlere und große. Die Nonnen alle in weiß. Bei der Hitze sicher klug, weiße Baumwollsarees mit einem kleinen blauen Streifen . Sie waren aufgeregt. "Die Mutter kommt". Sie boten mir Tee an. Tee, der ja so sehr mein Getränk wurde. Schließlich kam die Mutter. Eine kleine hutzelige alte gebückte Frau. Sie wurde umarmt und geküsst, die Kinder sangen und tobten um sie herum. Mit knochigen, mageren Händen streichelte sie kleine Kinderköpfe. Zärtlich und ohne Hast. Schließlich setzte sie sich zu mir und sagte sie sei so müde. Es habe so lange in Rom gedauert. Der Papst wollte ihr zu wenig Geld geben und sie brauche viel, vielmehr. In Afrika sei eine neue Pest ausgebrochen, AIDS. Ob ich schon mal davon gehört hätte? Ja, ich hatte." Du siehst nach Geld aus, Du könntest mit Geld hier lassen." Ich sagte, daß ich nicht vermögend sei, nur mein Mann. "Gut, schreib mir einen Scheck". Ich sagte, "ich habe nur EUROschecks und ich kann nicht Geld meines Mannes einfach weggeben". Sie lachte." Du kannst alles was Du wirklich willst". Ich versprach in den kommenden Tagen wieder zu kommen. Sie fragte:" Hast Du Kinder?"" Ja, eine Tochter of my body and a son adopted." Sie lachte wieder." Siehst Du, Du kannst alles was Du willst. Du solltest mehr Kinder adoptieren. Die Kinder hier gehen alle ins Ausland, sie haben dort größere Aussichten auf ein gutes Leben."
 
Der Taxidriver freute sich, dass ich so großes Glück hatte, Mother Theresa zu begegnen. Ich hingegen stand ein wenig unter Schock. Wir fuhren zu einem noch größeren Haus. Diesen Geruch, der mich umgab, werde ich niemals vergessen.
 
Es war der Tod. Der Geruch des Sterbens. Ohne Schrecken. Sanft und geduldig schien die Erlösung sich an die Menschen heranzuschleichen. Kein Kampf. Alle lagen sauber und umsorgt in Betten. Während die Kinder auf dem Steinfußboden auf Matten geschlafen hatten. Es war leise, leise sprachen Schwestern mit Sterbenden. Sie erzählten mir, dass diese Menschen fast nichts zum Leben brauchten und deshalb das Sterben so ein langer Weg ist. Ich ging durch die Bettenreihen. Manche Hand erhob sich schwach. Ich setzte mich, versucht mit meinem kargen Schulenglisch etwas liebevolles zu sagen. Strahlendes Lächeln war immer die Antwort.
 
Der Taxifahrer sagte: "Genug Soziales, jetzt Kultur." Er schleppte mich in ein Museum, dann noch eins. Ich erinnere große Steine mit Inschriften. Er erklärte und sprach und lächelte mich an. Er sagte ich müsse besser atmen, "ich bin Astmatiker, I do my very best my whole life". Er " Good, good."
 
Im Hotel meldet ich ein Gespräch nach Hamburg an. Es dauerte Stunden. Ich badete in meiner Luxusbehausung, empfand Ekel und Erleichterung. Legte mich aufs Schlaraffenland Bett und fühlte wie ich auseinanderbrach, Atome, Moleküle. Alles was ich in der Schule nie begriffen hatte, spürte ich nun in meinem eigenen Körper. -
 
Endlich kam das Gespräch, ich weinte, schrie und erzählte. Michael erlaubte mir sofort Geld zum Heim zubringen, aber seine Frage ,"Wo ist das Kartoffelpüree?", ließ mich fühlen wie weit weg und allein ich war.
 
Die Nacht wurde lang und länger, Ich hatte Heimweh nach meiner Familie, das erlebte war zu viel. Ich war ohnmächtig. Die Holy Bible nicht das Wahre für mich, keine Lösung in Sicht. Ich fand David Copperfield auf englisch.Ich las bis morgens und da ich ja gerade in London war, wusste ich, nicht jedes arme Land, muss so bleiben wie es ist. Ich schlief versöhnlich ein.
 
Ich brachte Mutter Theresa das Geld, sie küsste mich. Auf meine Frage, wie denn die christliche Erziehung im Heim aussähe, sagte sie, " Ich sage immer, wenn die Kinder gehen, Gott ist immer bei Dir, fühle Dich geliebt und geachtet, Du bist einmalig in dieser schönen Welt!" Ich umarmte sie und wollte mich verabschieden." Nein, nein, halt, ich gebe Dir ein Schreiben mit für die nächste Adoption".
 
 
Zwei Monate später antwortete der deutsche Mutterkonvent in Bayern auf unsere Anfrage. "Leider können wir Ihnen bei einer Adoption nicht behilflich sein, da Sie nicht vor Gott dem Allmächtigen getraut sind." Geschrieben auf einem abgerissenen Rechenheft Blatt.


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