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Jannis, Intellektueller, mag keinen Sex

       copyright: © Henny Halbach, März 2o14

Jannis möchte ich nicht unerwähnt lassen. Zumal ich mich im Zuge meiner Erledigungen ja mit ihm zu beschäftigen habe. Auf ihn traf ich ebenso zufällig wie unerwartet. Wie auf alle anderen, von denen ich berichten werde, auch. Wo wir doch alle davon sprechen, dass es keine Zufälle gibt. Alles sei von Gott geplant und unser Schicksal lediglich uns selbst nicht bekannt. Dabei ist doch alles nur Teil des großen Plans, wie es so schön heißt.
 
Disco-Abend unter Frauen stand auf dem Plan an dem Abend. Hella und ich waren im Begriff zu gehen. Die Party war vorbei in dem Laden, den ich recht langweilig fand. Keine tollen Kerle, keine verruchten Blicke, keine heiße Atmosphäre. Kein Brodeln beim Tanzen, keine verrückten Hühner, die kreischend einen Song nachsingen und keine Typen, die irgendwen anstarren. Alles völlig unterkühlt. Für eine Disco-Nacht auf jeden Fall.
 
Angeödet, und, als Fahrerin natürlich nüchtern, stand ich noch an die Theke gelehnt, als mich jemand von hinten anquatschte. Ich nahm den Atem im Nacken als warm und wohltuend wahr. Ob ich mich auf ein intellektuelles Gespräch einlassen würde. Ich war sofort neugierig und wartete, dass er sich zu mir dreht. Tat er auch und ich war nicht wenig überrascht, da dass, was ich sah, sich vom Durchschnitt wesentlich unterschied. Weiter wolle er auf keinen Fall etwas, nur ein Gespräch, keine Anmache. Im Übrigen: Sex fände er sowieso total blöd, deshalb könnte er auch nie dauerhaft mit einer Frau ins Gespräch kommen, weil die Mädels immer Sex wollten.
 
Ich versicherte ihm gleich, dass ich keinen wolle. Es sei immer das gleiche Langweilige. Die Typen immer ähnlich kurzatmig und phantasielos, ich hätte es eh längst aufgegeben. Gutaussehende Frauen wie ich würden sowieso partnerlos bleiben, da die Kerle Angst vor einer wie mir haben oder tödlich eifersüchtig seien, nach spätestens einer gemeinsam verlebten Nacht. Das wäre mir alles zu anstrengend. Da läse ich doch lieber, meinte ich gleich zu ihm. Wir schauten uns an, lächelten beide entspannt und fühlten uns gut.
 
Alles war klar und wir konnten uns auf einen wirklich guten intellektuellen Gesprächsstoff einlassen, der uns für die restliche Zeit beschäftigte, bis meine Freundin von der Tanzfläche kam. Mir war die Mucke zu muffig, aber Hella fand Schlager toll. Sie wollte weiter tanzen. Also verlegten mein Gesprächspartner und ich unsere intellektuelle Kampf-Sprache jetzt auf Spanisch, um den Kopf etwas zu belichten, und Hella ging wieder zum Schlager-Rocken, während Jannis ein Bier nach dem anderen kippte und ich mich jedes mal auf eine neue Wasserquelle freute. Macht schöne Haut. Jannis qualmte Kette. Rauchverbot gab es noch nicht. Ich war clean vom Nikotin gerade und das war gut so. Spanisch hatten wir auch abgehakt. Jannis hatte "verloren", wie er sehr verknirscht meinte. Er wusste nicht, dass er auf eine Übersetzerin getroffen war. Es war ihm super peinlich. Und er wurde richtig ärgerlich. Ich fand das amüsant. Und süß. Ja, niedlich war das schon. Er hatte eine unheimlich erotische Stimme und war erst 26. Damals der jüngste promovierte BWLer und dabei, einen Job zu finden, wie er sagte.
 
Er sah ziemlich gut aus, wie ich neidlos anerkennen musste. Jung, promoviert, gut gebaut, erotische Stimme, dunkelbraune Haare und so irre Augen, wie die Arktis, so kühl, irgendwie.
 
Aber irre eben. Das er irre war, bemerkte ich zu spät. Ich hatte mich schon verliebt.
 
Erst fand ich ihn nur opportun. Provokant und opportun. Ich dachte, ja, ganz cool, diese Nummer mit dem Nicht-Sex-Mögen. Da wollen alle Mädels gleich überzeugend auftreten und ihn eines besseren bekehren und strengen sich mächtig an.
 
Nicht so ich. Ich blieb zurückhaltend. Und er wurde immer hilfreicher. Edel und gut, dachte ich bei mir. Er half mir bei wichtigen Dingen, die nur Männer machen. Bei dem Versuch, mir den Tannenbau in die Wohnung zu tragen, wurde seine weiße Jeans schmutzig. Ich merkte da dann, dass es um mich geschehen war, denn ich bot ihm eine Ersatzhose an und war wie eine super-bekloppte Tussi am Bügeln, nachdem ich die Hose extra vorsichtig gewaschen hatte. Ich bügelte, als ob meine Nominierung zur Super-Frau davon abhinge. Die bestgebügelte Hose Deutschlands, . geht heute an den Super-Mann Jannis. Mit extra viel heißen Gedanken und der Portion von Über-Liebe anstatt Weichspüler.
 
Ich kochte ganz toll, wenn Jannis kam. Alles war immer super. Superschön, Supersauber, supergeschmackvoll, superzukunftsträchtig. Kinder superleise. Jannis war klasse. Wir schliefen nicht miteinander, aber er wollte den ganzen Abend und die ganze Nacht telefonieren. Rief immer an und seine Stimme war einfach endgeil. Nein, nein, keine falschen Rückschlüsse. Wir hatten KEINEN Sex am Telefon. Wir unterhielten uns über sehr wichtige intellektuelle Betrachtungsweisen und Philosphien. Wenn ich auflegte, rief er sofort wieder an. Wenn ich müde war, wurde seine Stimme lauter, einschlafen galt nicht, wie er meinte. Und aufgelegt wird, wenn ER will. Basta. Wenn ich nicht ans Telefon ging, klingelte er Sturm. Wenn ich länger nicht ran ging, fuhr er die 20km schnell zu mir und klingelte an der Tür Sturm. Jannis war irgendwie unheimlich erotisch und sein alter crème-farbener Mercedes SL passte sagenhaft gut zu ihm. Er versprühte so einen eigenartigen, kaum zu fassenden Charme. Er war unglaublich männlich, dadurch dass er niemanden - jedenfalls nicht mich - an sich ranließ. Sein Körper war einfach schön und gehörte ausschließlich ihm. Niemand durfte ihn berühren. Kein Gramm Fett. Wunderschöne Proportionen. Herrliche Muskeln, ganz süß geformt. Ein Ästhet auf ganzer Linie. Seine Stimme machte mich fertig. Wow. Er rief mich den ganzen Tag über an, wenn ich mich jetzt recht entsinne. Auch, wenn er in einem Hotel auf ein Vorstellungsgespräch wartete.
 
Nach einigen Wochen meinte Jannis, ohne mich keinen Tag mehr verbringen zu können. Er müsse eben deshalb mit mir telefonieren. Jederzeit. Immer. Tag und Nacht. Ich schaltete das Telefon manchmal einfach ab und Jannis kam nicht immer sofort angefahren aus Braunschweig. Ich wusste, er war vom Dauer-Telefonieren einfach völlig erschöpft. Essen und Trinken, Duschen, auf Toilette gehen, unerlässlich und in dieser Zeit, wenn ich das Telefon abgeschaltet hatte, wurde alles dann fix erledigt.
 
Außerdem hatte ich den Spieß umgedreht eines unseligen Tages: Ich stand vor SEINER Tür. Und er drehte durch. Es gebe ganz genaue von ihm bereits festgelegte Verhaltensregeln, schrie er mich an. Und eine davon besagte, dass er mir verboten habe, ihn jemals zu besuchen. Ich könnte gerne mit ihm zusammen, auf Einladung, zu ihm herauf in die Wohnung. Aber nicht ohne Anmeldung und Einladung zu ihm kommen, wann es mir gefiele. Die Regeln mache schließlich er allein. Und sie seien dafür da, dass ich sie einhalte. Ok. Ich dachte mir, es täte auch so einer freigeistig, uhrlos aufgewachsenen jungen Mutti wie mir mal ganz gut, sich endlich an das richtige Leben mit festen Zeiten und Verhaltensregeln zu gewöhnen. Sowas gibt ja auch Sicherheit und Geborgenheit und so weiter, redete ich mir die Sache schön.
 
Wir hatten gemeinsame Einladungen bei seinen Freunden und dort war mir verboten, zu sagen, dass ich Kinder hatte. Ich hielt mich daran, denn ich hatte ihn ja jetzt auch schon einmal vollständig ausrasten gesehen. Ich verstand das auch ganz gut. Er war eben konservativ, und alles sollte so vonstatten gehen, dass alle in seinem Umfeld annahmen, dass ich eine gute, angenehme Partie sein könnte. Für die Zukunft eben. Was Festes.
 
Und einen Pappuscheck für meine Kinder, wünschte ich mir auch. Wär schon schön.
 
Er hatte eine sehr hübsche Wohnung, die gepflegt war. Sie lag in einem alten Fachwerkhaus, in dem sich auch die Wohnung seiner überaus attraktiven, hübschen Schwester befand. Das Elternhaus lag auf dem gleichen Grundstück, hinter einigen Bäumen versteckt. In der Auffahrt stand zur einen Seite noch ein kleines Gebäude, in dem eine winzige Boutique beheimatet war. Insgesamt kümmerte sich Jannis um alles und auch um die Mietangelegenheiten in einem anderen alten Fachwerkhaus, welches er mir mal zeigte. Er hatte also immer ein bisschen was zu tun. So richtig arbeitslos könne er nicht werden, meinte er mal. Und war zufrieden. Er war sogar handwerklich sehr begabt und machte ordentliche Arbeit. Zu erledigende Dinge sah er sofort und erledigte das auch ohne zu murren.
 
Alles in allem ganz in Ordnung, dachte ich. Und einen Job bekommt er auch noch. Bei der Besuchs-Geschichte allerdings war er ja irgendwie sehr seltsam. Und trotz dem ich ihn sehr, sehr mochte, fand ich das merkwürdig. Besonders, nachdem er mir erzählt hatte, dass er darauf bestehe, Recht zu haben und das läge einfach daran, dass er eben immer im Recht ist, dass das, was er denkt und sagt, richtig ist. Korrekt. Und er habe sich mal ein Stück von seiner Zunge abgebissen, weil er sich geärgert habe, als seine Lehrerin ihm nicht Recht geben wollte, obwohl er Recht hatte.
 
Huih, dachte ich mir. Gut, jetzt bist du mal ein bisschen vorsichtiger und überlegst erst einmal, wenn du eine Behauptung aufstellst. Gehst halt ein bisschen mehr ein auf seinen Genius. Ist ja auch ok. Hat er ja auch verdient.
 
Ich brachte Blumen mit und Jannis lud mich ein. Am Ende des Abends gingen wir zu ihm und er trank noch eine halbe Flasche von irgendwas. Mit glasigem Blick und Allo-Fahne dann kam er auf mich zu zugesteuert. Er fing an zu lächeln und meinte dann, dass jetzt mein großer Tag gekommen sei. Er sei sich nicht zu schade für mich. Ich dürfe mit ihm ins Bett.
 
Ich fand's mal wieder amüsant und lachte. Wir spielten Kriegen in der verwinkelten Wohnung und er durfte natürlich gewinnen. Ich war der Gewinn und er konnte entscheiden, was er damit macht. Ich hatte mir vorgestellt, dass es ganz schön sein könnte, sein Gewinn zu sein.
 
Weit gefehlt, die ganze "Angelegenheit", wie er diese traurige Performance nannte, war schon vorbei, als ich dachte, jetzt beginnt sie erst. Das war es dann auch schon.
 
Irgendwann in der Nacht schrie er: "Einmal noch, du Schlampe, nur weil du es bist! Einmal noch", wälzte sich über mich, zerrte an meinem Body völlig planlos unorthodox herum, so dass ich schon darauf wartete, im nächsten Moment zweigeteilt zu werden, zwei, drei Stoß-Bewegungen und aus war`s wieder. Ich dachte wirklich, das sei ein Film. Irgendwo ist eine Kamera. Das kann es nicht wirklich geben in den Neunzigern, wo alle frei und super aufgeklärt durch ihr körperliches Leben zippen. Und Genuss das einzige Kriterium ist neben dem Bemühen, gesund zu bleiben bei aller Promiskuität.
 
Tja, man lernt noch staunen, dachte ich. Aber irgendwie war gerade eine solche naive Haltung auch wieder süß. Anstatt mir zu denken, dass es besser sei, jetzt noch rechtzeitig einen schlanken Schuh zu machen, nein, fand ich mal wieder alles rührend. Unverbesserlich. Mütterlich. Ich eben.
 
Auch wenn mir an manchen Tagen die Geduld fehlte, so fand ich Jannis immer noch hinreißend. Ehrlich. Die Gespräche empfand ich als bereichernd und ungemein anregend. Ich konnte meinen Horizont erweitern und meinen Intellekt nähren. Eigentlich war ich ganz zufrieden, wie es war. Und so wichtig war Sex schließlich gar nicht, sagte ich zu mir. Ich war ehrlich davon überzeugt. Die Leute haben mich in diesem Punkt nie verstanden. Aber in speziell diesem Fall habe ich auch nicht darüber geredet mit anderen Menschen. Aber denkt doch mal ganz normal nach: Ihr habt zwar wenig Essen, aber wenn es etwas gibt, dann schmeckt es wirklich TOTAL fad. Habt ihr dann dauerhaft Lust darauf, FADES zum Essen zu erhalten? Nein, ihr wollt nur noch so wenig essen, dass ihr gerade überlebt. Und so ist es mit dem Sex auch. Nur, dass man darauf komplett verzichten kann, weil man von diesem Nichtvorhandensein von Sex nicht sterben kann. Im Gegenteil, denkt mal nach, wie viel Zeit gespart wird, wenn es keinen Sex gibt!! Wie viele Gespräche ihr statt dessen in Ruhe und Ausführlichkeit führen könntet, wenn sie wirklich Nachdenken und Ruhe erfordern! Und eine solche Beziehung ist ziemlich stabil sogar, denn sie basiert nicht auf der Ablenkung durch Sex, auf die Übertünchung von Schwächen durch Sex, auf den Zeitvertreib durch tagelanges Ficken. Tage, in denen sich die Partner sozusagen aus dem Weg gehen, in dem sie den Weg einfach durch heftigen Verkehr ersetzen. Dabei entgeht ihnen leicht, dass die Strasse eigentlich voll miserabel ist. Erst, wenn der Bock auf bombastisches Bumsen nachgelassen hat, haben sie die Möglichkeit, zu bemerken, was da eigentlich im Argen liegt. Oder sie bemerken es von Anfang an, haben immer so ein ungutes Gefühl und ficken alle Bedenken einfach weg, weil sie a) den Partner trotzdem körperlich sehr attraktiv finden, b) sie einfach nur Vermutungen haben im Positiven wie im Negativen und halt einfach mal drauf zu halten, egal, überlegen kann man noch, wenn man tot ist, irgendwann mal, halt. Schlaf gibt's genug nach dem Tod, jetzt erstmal Ficken.
 
Ok. Hier lag eben alles anders. Diese Intellektualität war tatsächlich erotisch, wie zumindest ich fand. Wir bewegten uns mit Niveau durch den Tag und durch die Nacht und blieben dabei stets sehr stilvoll. Das gefiel mir.
 
Irgendwo gibt es eine riesige Schwachstelle, dachte ich mir gleich von der ersten Minute an, als wir in der Disco standen. Aber ich bin einfach so: ich lasse mich ein, ich bin neugierig und will ausprobieren. Ich will abwarten und mich überraschen lassen. Es ist ganz schlimm mit mir. Ich bin immer so gespannt auf das was da kommen mag.
 
Wir waren mit anderen auf eine Party eingeladen und ich hatte das Verbot, meine Brille zu tragen Ernst genommen. Kontaktlinsen hatte ich nicht. Etwas eingeschränkt sehend verbrachte ich Stunden der Langeweile. Die Leute erschienen mir satt und öde, ignorant und unheimlich tunnelartig lebend. Außer sich selbst und ihr sattes Leben in Absicherung und absteckten Grenzen, sahen und fühlten sie nichts, wie mir schien. Morgens Laufen, dann Arbeit, Fitness-Studio, drei Mal im Jahr Urlaub. "Dom.Rep." sei das mindeste, was noch auf dem Programm für den 3. Urlaub in diesem Jahr stehe und ich wusste nicht mal, was das Wort bedeutete. Außer Jannis standen alle in Brot und Arbeit. Oh, nein, wie altmodisch diese Art der Beschreibung, ich korrigiere, alle machten Karriere oder hatten sie sogar schon fast fertig. Mit 30 kurz davor, Vorstandsvorsitzender zu werden, fast ein Unding, aber nicht unmöglich. Es kommt auf die Gesellschaft an.
 
Eine androgyne, aalglatte Dame dieser perfekten Party-Gesellschaft ließ sich dazu herab, mich in das Gespräch einzubeziehen, mich anzusprechen und auch mich nach meinen beruflichen Zielen und der Ergebnis-Orientiertheit meiner derzeitigen Aufgabenstellung zu fragen. Doch erwähnte ich stolz, dass ich bereits Kinder hätte und es die wunderschönste Erfahrung meines Lebens sei, ich mich zurückhalten müsse, nicht sofort noch mehr Kinder zu bekommen und ich immer noch unter dem Verlust meiner letzten Schwangerschaft leiden würde, obwohl sie bereits einige Zeit zurückläge. Und dass ich schon mit 18 wusste, dass ich Kinder haben wolle und zwar mindestens drei und das am besten sofort. Aber ich sollte noch länger warten, bis ich vielleicht noch mal eine Chance dazu bekäme. Ich hätte halt bisher den falschen Mann gehabt. Der letzte sei mit 55 Jahren einfach zu alt gewesen. Meine Augen wanderten zu Jannis, während ich leise bemerkte, dass es deshalb ganz gut sei, wenn man einen jungen Mann hätte, da alte Männer oft weder Zeit noch Energie für Kinder hätten. Die Runde verstummte und alle waren völlig irritiert. Es war so, als hätte ich ein Pfui-Wort gesagt, oder als hätte ich mich als aids-krank laut geoutet. Die Stille hörte gar nicht mehr auf. All diese wunderbaren schönen Menschen, die Antworten auf alle Fragen dieser Zeit hatten, waren alle auf einmal still. Die Party war vorbei. Jannis stand voller Entsetzen auf, riss mich an der Hand weg und zog mich auf die Toilette, sorry, Bad, natürlich. Großer Raum mit Phillip Starck Objekten. Kann man da das schnöde Wort Bad überhaupt noch verwenden? Na, macht nichts. Ich hatte damit zu tun, meine Wange zu reiben. Es zwirbelte darin und wurde heiß nachdem Jannis mir mit voller Wucht eine ins Gesicht geknallt hatte, kaum, dass die Tür geschlossen war. Er schubste mich mit irrer Kraft und unbändigem Ekel gegen einen Objekt Schrank und ich spürte Schmerz auch am Handgelenk als ich mich abstützen wollte. Mein Kopf war gegen die Wand geschlagen. Aber an einer Kante zur Dusche. Ich fiel auf den Boden und hatte mir auch noch die Lippe eingerissen. Mit voller Wucht trat er mich in die Seite und mein Kopf rutschte noch mal gegen die Unterkante des Duscheinstiegs. Mein linker Schneidezahn splitterte jetzt. Heute trage ich auch darüber eine Krone. Er trat noch mal zu und verließ den Raum.
 
Als ich mich gefangen hatte, und endlich wieder in die Art Wohnhalle in dem schicken Altbau ging, war Jannis weg, die Party-Gäste im Aufbruch begriffen und ich unsichtbar. Ich wurde einfach mit hinausgekehrt, fand mich auf dem Gehweg wieder. Alle waren plötzlich weg und ich allein in einer Stadt, die ich nicht sooo gut kannte. Und 20km weit entfernt von meinen schlafenden Kindern.
 
Mein Kopf war tumb, einiges am Körper schmerzte sehr. Es lag Schnee und ich trug die alten schwarzen Sling-Pumps, die ich noch von meiner Mutter hatte. Alte Dinger, aber von Aigner. Schönes Leder. Die Sohle durchweichte schnell, weil sie bereits seit Jahren viel zu abgelaufen war. Mein schicker Mantel war zu dünn für den Kälte-Einbruch und ich machte mich in Richtung Bahnhof auf, nachdem ich einen Passanten fragen konnte, der etwas angedüselt an mir vorbei schlidderte. Ich hatte 10Mark in der Tasche. Wie immer. Nicht mehr. Nach langem monotonen Gehen traf ich im Bahnhofsgebäude ein und setzte mich zwischen die Penner. Keiner sprach mich an. Wir waren alle eins da, in der Nacht. Wir wussten, dass es uns allen gleich beschissen ging. Einer bot mir eine Kippe an und ich war dankbar und fühlte mich gut behandelt. Geborgen. Mir wurde etwas wärmer. Die Füße begannen nun zu brennen. Sie tauten auf sozusagen. Erstaunen lag in den alten gebrochenen Augen meines vis à vis, als er auf meine Füße schaute. Ein junger Mann, der uralt aussah, aber nicht dumm. Ich schämte mich. So furchtbar, wie kaum später und nie zuvor in meinem Leben. Für meine Dummheit. Und dafür, dass ich es offensichtlich bis vor wenigen Stunden noch nicht nötig gehabt hatte, Winterschuhe und drei Paar Socken zu tragen für das Leben hier draußen.
 
Ich fand es nett, dass wir in der Bahnhofshalle sitzen durften. Schließlich fuhr der nächste Zug erst morgens. Es war Sonntag und ich hoffte so sehr, dass meine Kinder lange schlafen würden. Ich würde es nicht ganz schaffen mit den 10Mark und würde noch laufen müssen, bis ich wieder bei ihnen sein würde. Meine Opfer-Kinder. Mein Leben. Meine Liebe. Und alles hatte ich auf dieses miese Spiel gesetzt wegen bepisster Eitelkeit und Hoffung auf lebenslange gute Gespräche, Wissen, worüber man redet, aus ähnlichem Stall sein, Status, Zukunft in wirtschaftlich guten Verhältnissen mit happy family und intellektuellem Mann an der, an meiner, Seite.
 
Scheißdreck.
 
Deshalb bist du jetzt fällig. Es wird eine Erleichterung sein für dich, Jannis. Du bist Alkoholiker und dir selbst ein Dorn im Auge. Du riefst mich neulich an, aus dem Werk. "Hallo? Na, jetzt rate Mal, wer am anderen Ende der Leitung ist, was?" Ich wusste gar nicht, mit wem ich es zu tun hatte. Ungewöhnlicher Anruf. Ein Kollege? Ich überlegte. Die Stimme kam mir bekannt vor. Erotisch. Jetzt fiel es mir ein. "Jannis? DU? Das ist ja eine Überraschung - wow, wie komme ich zu der Ehre, dass du an mich denkst? Freut mich ja," rief ich freundlich ins Telefon. Du erzähltest gleich sehr zügig. Unkompliziert und schnell auf den Punkt kommend. Du seiest verheiratet, deine Ehe öde. Deine Frau ein super-karrierierendes, nicht menstruierendes, kinderloses Weib. Sie habe sich gleich total ausräumen lassen um jegliche Nachwuchsfragen ausschließen zu können. "Kinder SIND ja auch lästig," meintest du. Aber nun: Jetzt nun GAR kein Sex mehr. NIE, und du habest dich daran erinnert, dass es doch bei uns eigentlich ganz gut "geklappt" hätte. Das waren deine Worte: "Ein bisschen Abwechslung könne nicht schaden. Und da habe ich daran gedacht, Christine, dass es doch bei uns damals ganz gut geklappt hat, nicht? Das war doch ganz gut mit uns, was? Was meinst du, Christine? Wär doch mal was, wieder, mit uns, mal, oder? Hm, was meinst du? Musst du überlegen? Nicht wirklich, oder? Na, komm, Christine." Und du seiest ja auch ein ganz Braver, das wisse ich doch noch, oder?
 
"Na, komm schon, baby, sag ja. Wo könnten wir uns denn treffen? WANN?" du warst hartnäckig, wie damals schon.
 
Ein "ob" kam ihm gar nicht in den Sinn. Einer von den Promovierten im Hochhaus in W., der kommt nicht auf die Idee, zu fragen, OB. Sein Wort sei mir Befehl. So denkt er. Denk weiter so, Süßer. Denk weiter. Schaukel dich hoch. Lass die Bilder in deinen Kopf kommen. Mal dir schöne Bilder. Zieh dir noch ne Linie, wie du das immer so gerne machst, und schütt noch ein bisschen von dem teuren Zeugs aus der Hotelzimmer-Bar drauf, Kleiner. Gleich bist du ganz groß, du Genie, ganz groß, denke ich mir.
 
"Ja, wir treffen uns, Jannis", antworte ich jetzt erst. "Im Hotel. Klar!" sage ich. "Nein, nicht im Ritz. Zu riskant. Da könnten wir dann doch jemanden treffen, Jannis. Man weiß ja nie, weißte doch." Er denkt nach: "Nein, eine Art Stundenklitsche, gibt's so was, was seriös ist und etwas verrückt zugleich, was nicht zu teuer ist?" Du meinst: "st ja Quatsch für den Zweck. Für die paar Stunden." Ich sage: "Na klar, wir finden etwas. Du findest etwas." Machst du ja für die Kollegen von auswärts auch manchmal, sagst du. "Verlass dich auf mich, kein Problem." Und: "Wir sehen uns! Ich ruf dich dann wieder an und gebe dir die Daten durch, bis dann!" Jannis legt zufrieden auf.
 
Ich habe plötzlich alles genau vor Augen, denke mir: Und dann bist du der König. Ich mach dich zum Star, wie damals. Ja. Klar. Wie? War was? Kann mich nicht erinnern - war da mal was, was Unangenehmes. Nein, keiner weiß, warum WIR uns eigentlich getrennt hatten, damals, was?
 
Du machst den Vorschlag. Natürlich du. Treffpunkt: Nettes, gepflegtes Hotel, innenstadtfern, W.. Grüne Bäume drum herum. Nette, gepflegte Atmosphäre. Du meinst versonnen, dann bräuchtest du nicht mal einen Umweg fahren und ein, zwei Stündchen Überstunden seien ja auch ganz normal, so dass deine Frau nicht mal anrufen würde, um nach dir zu fragen. Und das Hotel läge ganz gut, keine Zeitverschwendung beim Fahren, du müsstest lediglich nach der Autobahnbrücke gleich rechts abfahren und schon seiest du dort.
 
"Prima. Abgemacht! Ich bin dort und freue mich schon riesig, dich zu sehen," entgegnete ich. Und: "Das ist ja mal eine spannende Abwechslung. Deine Stimme ist immer noch so sexy, wie damals und zugenommen hast du auch nicht? Geil. Ich bin schon ganz wild auf dich. Eine Brille trägst du auch nicht? Du siehst immer noch genau wie damals aus, sagst du? Klasse," rufe ich jetzt schon mehr. Eigentlich wär alles wie damals, nur, dass du jetzt einen knall roten Touareg fährst, sagst du. "Knall rot. Davon gibt es nur ganz, ganz wenige," meinst du stolz. "Super," sage ich, "eben extra für dich, individuell. Das passt gut zu dir, wenn es schon kein alter SL mehr sein darf, nicht, Jannis? Finde ich gut, dass du dich abhebst von der Masse. Einer muss es ja tun," lobe ich Jannis, ganz so, wie er es gewohnt ist. Ich fühle mich erleichtert. Manches im Leben ist einfach. Wo ich so kurzsichtig bin.
 
Wirklich erleichternd, dieses knallrot. Es erleichtert mir das Erkennen, denn ich kann ihn schon von weiter Entfernung sehen. Du verringerst die Geschwindigkeit schon vor der Brücke, auf der ich stehe, denn du willst ja jetzt abfahren, gleich nach dem du unter der Brücke hervorkommst. Der riesige Stein, den ich unter meiner Jacke verberge, die auf dem Geländer liegt, fällt direkt durch die Windschutzscheibe auf deinen Fahrersitz. Natürlich trifft er dich. Du verursachst eine Panik auf der Bahn. Ein Durcheinander, in dem die gemütliche Radlerin, die ihren Weg fortsetzt jetzt, überhaupt nicht auffällt. Ich fahre in einen Feldweg ein und radele bis zu einem kleinen Wäldchen. Das Klapp-Rad ist alt und ich lasse es jetzt einfach an einen Baum gelehnt stehen. Mein Auto ist hier zwischen den Bäumen nicht aufgefallen. Ist kein Jagdgebiet. Und auch egal, es hat mich auf der Brücke niemand gesehen.
 
Deine Frau wird noch etwas länger warten und, na ja, ihre Ruhe und das schöne Haus hat sie jetzt halt für sich ganz allein.
 
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