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Verlorene Schätze

       copyright: © Adrienne Friedlaender, November 2o13

       Def. Schatz 1: Juwel, Kostbarkeit, Perle
 
Nicht einmal hundert Meter hatte Anna das Motorrad geschoben und schon rann der Schweiß in dünnen Rinnsalen aus ihren Achseln und von der Stirn. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um die schwere Maschine im Gleichgewicht zu halten. Es war 2 Uhr nachts und außer ihr war niemand auf der Straße.
 
"Wann kommst du nach Hause?" Es gelang ihr nicht die Verzweiflung in ihrer Stimme zu verbergen.
"Was gibt's denn schon wieder so Dringendes, Schatz?" Es klickte und Rudolf wechselte auf die andere Leitung. Was gab es Dringendes? Sie war einsam. War das dringend? "Schatz" Aus Rudolfs Mund klang das Wort, als hätte er es von einer seiner Folien abgelesen. Folie 3: Mögliche Anrede der Ehefrau: Schatz.
 
       Def. Schatz 2: Auserwählte, Freundin, Geliebte
 
Wie viel einfacher es wäre, wenn sie die Maschine fahren könnte. All ihren Mut hatte sie damals zusammen genommen und sich bei einer Fahrschule angemeldet, um Rudolf mit dem Motorradführerschein zu überraschen.
Er hatte sich auf die Schenkel geschlagen vor Lachen, als sie ihm stolz von ihren Plänen erzählt hatte. "Du auf einem Motorrad... du glaubst doch nicht, dass ich mit dir..." Gebrüllt hatte er vor Lachen. Das erste Lachen seit Monaten. Sie hatte geweint. Dann hatte er zum Hörer gegriffen und den Kurs in der Fahrschule abgesagt.
 
" Anna, Schatz, du weißt doch dass ich weg muss." Anna hatte eine dicke Strähne um ihren Zeigefinger gedreht. Rudolf hatte ihr nichts gesagt. Wieder eine Nacht allein. Sie zog heftiger an der Haarsträhne. "Anna? Also dann bis morgen." Tränen liefen über ihre Wangen als sie die ausgerissenen Haare in der Faust betrachtete.
 
Der Schweiß rann von der Stirn, verschleierte ihren Blick und brannte in den Augen. Sie fuhr sich mit dem Ärmel des rechten Arms über die Stirn. Eine unbedachte Bewegung, die die Maschine bedenklich ins Schwanken brachte.
 
Rudolf hatte nicht gewollt, dass sie arbeitete. Nur für ihn sollte sie da sein. Es genügt, wenn einer abends müde nach Hause kommt hatte er gemeint und auch ein Baby würde nur ihre innige Zweisamkeit stören.
 
Sie kam an die Kreuzung zur Elbchaussee. Kein Auto war zu sehen. Es erschien unnötig die Ampel zu drücken. Andererseits hätte sie ein Problem, wenn plötzlich doch ein Auto auftauchte. Sie entschied sich zu drücken.
 
Drei Jahre lang hatten sie jede freie Minute miteinander verbracht. Rudolf hatte seinen Schatz oft fünfmal am Tag angerufen. Und heute? Was gibt's denn schon wieder Dringendes!
Dann hatte Rudolf sich immer häufiger abends verabredet. Sie verbrachte die Abende allein zu Hause. Sie hatte keine Freundin mehr. Rudolf wollte sie nicht teilen. Die wenige Zeit nach Feierabend wollte er mit ihr allein verbringen.
 
Die Fußgängerampel sprang auf Grün. Anna wuchtete das Motorrad den Kantstein hinunter und über die Straße.
 
Baujahr `69. Sie sah sein stolzes Gesicht noch vor sich. Eine alte Moto Guzzi, ein wahrer Schatz.
 
       Def. Schatz 3: Glanzstück, Prachtexemplar, Prunkstück
 
Er brauche mehr Zeit für seine eigene Interessen, hatte er ihr erklärt. Sie gehörte ganz offensichtlich nicht mehr zu seinen "eigenen Interessen".
Anna war von Anfang an eifersüchtig auf dieses Motorrad gewesen, mit dem Rudolf so viel Zeit verbrachte und von dem er mit einer Leidenschaft sprach, wie von einer Geliebten.
 
Ihre Kräfte drohten sie zu verlassen. Anna lehnte das Motorrad vorsichtig an einen Baum und setzte sich auf eine Gartenmauer. Erschöpft schaute sie in den Garten. Zwei Fußballtore standen dort. Mehrere Bälle lagen verstreut herum und vor der Haustür der Elbvilla stand ein Kinderwagen. Das Bild versetzte ihr einen Stich. Sicher hätte ein Kind ihre Ehe gerettet.
 
Ihre Arme waren taub und die Beine zitterten vor Schwäche, als sie sich wieder aufrichtete.
 
Es hatte keine Zärtlichkeit gegeben. Auch mit Erotik hatte es Nichts zu tun gehabt und am allerwenigsten irgendetwas mit Liebe. Anna hatte sich an diesen Versuch geklammert, um das drohende Unheil abzuwenden. Sie hatte sich Mut angetrunken und auch Rudolf großzügig nachgeschenkt. Verführt wäre nicht das richtige Wort gewesen. Das hätte nach Romantik geklungen, die es nicht gegeben hatte. Ein paar Handgriffe zur richtigen Zeit, das war alles.
 
Vergeblich zerrte Anna am Lenker der Maschine. Mächtig und unbeweglich lehnte das schwere Motorrad am Baum und schien sie zu verhöhnen. Die Pause waren ihr zum Verhängnis geworden. Annas Sommerkleid klebte schweißgetränkt wie ein Feudel an ihren Körper. Mit einem animalischen Aufschrei gelang es ihr schließlich die Maschine zu sich heranzuziehen.
 
"Es hat keinen Sinn mehr!" Ohne ABS und Airbag hatten die Worte sie ungebremst mitten ins Herz getroffen.
"Ich möchte die Scheidung." Anna war unfähig ein Wort heraus zu bekommen. Deshalb hieß es also, es habe einem die Sprache verschlagen.
"Eine andere Frau...hoffnungslos...Scheidung" Seine Worte waberten wie durch dicken Nebel. Nur einzelne Fetzen erreichten ihr Ohr. Es klang so banal, abgedroschen, trivial. Das Leben ist trivial war ihr letzter Gedanke, bevor die Nebelschicht sie ganz eingehüllt hatte.
 
Jetzt konnte sie schon die Elbe sehen. Täuschend ruhig lag der Fluss vor ihr, als kenne er keine Gezeiten, keine Untiefen und Strömungen.
 
Sie hatte das Kind verloren. Sieben Tage dauerte es, bis die Ärzte ihren Zustand für stabil erklärten und sie entließen - entließen wohin?
Leicht rollte die Maschine über die Holzplanken der Brücke. Einen kurzen Moment verweilte Anna auf dem nur unmerklich schwankenden Ponton und genoss die friedliche Stille. Über dem Hafen ging die Sonne auf. Eine Farbe zwischen Orange und Rosa - die sich kurz in den Chromteilen des Oldtimers spiegelte bevor die Moto Guzzi ins Wasser klatschte und sofort versank.
 
Anna blieb zwei Tage im Bett bevor sie ihren Mann als vermisst meldete. Sie fürchte, es sei ihm etwas zugestoßen auf seinem Motorrad-Trip.
 
       Def. Schatz 4: nach deutschem Recht ist ein Schatz eine Sache,
       die solange im Verborgen gelegen hat, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist.


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copyright © by: Adrienne Friedlaender , November 2o13.
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Adrienne Friedlaender

Mit krimineller Schreib-Energie.


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