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Hamburger Wetter

       copyright: © Süleyman Deveci (Criticus), Mai 2o13

Die vorbeifahrenden Autos aus allen Ecken Deutschlands und der Welt nahmen den gießenden Regen kaum wahr. Der schlangenartige unendliche Asphaltboden wurde von Millionen Tropfen totgeschlagen. Seit Mitternacht regnete es ununterbrochen. Trotz seiner Aggressivität dauerte der feuchtnasse Morgen mit seinen eigenen Laufbahnen und Vorhaben immer weiter an. Selten erschienen Gesichter. Sie waren nicht nur mürrisch, nachdenklich, sauer und empört, sondern auch enttäuscht und unerträglich nörglerisch. Die schlechte Laune der Natur verbreitete sich auf der Bushaltestelle, in der Nachbarschaft, unter den Kindern auf dem Schulhof, sogar bei den Bullen, die reichlich Verwarnungen und Strafzettel verteilten. Auch die Werbung verteilenden, schwarzhaarigen Jugendlichen nahmen ihren Anteil davon. Es war ein klassischer Morgen aus dem schrecklichen Hamburger Schmuddelwetter, wie gehabt. Es war ein dreckiger, begossener, patschiger und unsympathisch beginnender Tag, der nicht nur schlechte Dispositionen hervorrief, sondern auch pessimistische und dunkle Gedanken und Gefühle, von denen die Zuversicht meilenweit entfernt war.
 
Außer den "Schönes Wetter Journalisten" interessierte dieses Wetter eigentlich jeden. Der Morgen war in Hamburg damit lahmgelegt. Hier und da hörte und sah man von weitem oder nahem Sirenen und blaue Lichter von Martini Hörnen. Man sah vereinzelt auch schnelle und hektische hin- und herfahrende Feuerwehr- oder Polizeiwagen, die wer weiß schon zu was für einem Einsatz unterwegs waren. Diese verbreiteten unübersehbarer Schrecken und auch Angst im kleinen Kaliber. Wie viele Regenschirm an dem Morgen verkauft wurden, weiß heute sicherlich keiner mehr. Die Frage, wie viele Kriminelle, Politiker und Nutten unterwegs waren und auch nass geworden sind, darf ruhig als irrelevant bezeichnet werden.
 
Hamburgs Straßen stanken immer schon. Sogar die gebürtigen Einheimischen, deren Ahnen zu Zeiten des Piratenanführers "Störtebeker" lebten, konnten sich an dieses Wetter nicht anpassen. Das Hamburger Wetter bezeichnet man seit Jahrhunderten schon als ob es ein ekelerregendes, Lächeln fressendes, gute Launen und schöne Momente klauendes Ungeheuer wäre, das unheimlich, mystisch und mittellos überall weilt und seine freie Zeit sinnlos vertreibt. Den Regen und die Stadt verband eine Liebe, von der die Ur- und Jetzigen Bewohner keine Ahnung hatten. Beides war seit Kain und Hain mit unfassbarer Loyalität zusammen.
 
Die Stadtstreicher unter der Brücke in der Nähe vom Fischmarkt waren ebenso unglücklich an diesem Tag wegen des Wetters. All ihr Hab und Gut wurde durch die Natur feucht und nass. Die Müllaufräumer von der Stadtreinigung fielen mit ihrer eigenartigen Bekleidung an der entferntesten Stelle des Hafens auf. Die "1. Mai" Plakate, die mit der Ankündigung an dem Tag stattfindenden Kundgebungen beschriftet waren, schauten von ihren Ehrenplätzen klamm und einsam zu den vorbeigehenden Passanten rüber.
 
Ein Mann grabschte eine Verkäuferin an ihren breiten Po. Sie war nur mit ihrem Korb und der Konkurrenz zusammen und sie stand bei jedem Wetter bewegungslos, aber nicht tot da, weil sie eine Statue war. Egal welches Wetter draußen herrschte und wo man sich befand, der Mann war immer ein Schwein. Sonst würde er nie den Pfefferminztee, der schon längst abgelaufen war, trinken. Er würde sonst auch nicht mit weißen Socken ins Bett oder an den Strand gehen oder in der Bibliothek auf die Idee kommen, dort an einem geeigneten Ort unentdeckt zu onanieren.
 
Die Krankheitserreger waren an solchen Tagen wie immer in Alarmbereitschaft. Dieser genussvolle Morgen erweckte bei denen Appetit und Lust hervor. Auf so eine zahlreiche, unbekannte und ungeschützte Schar von Opfern warteten diese Keimen, da diese auf keinem Weg vorgewarnt werden könnten. Wüssten die Leute es, hätten sie sich in der Tat mit irgendwelchen Injektionen und Infusionen gestärkt, und sich mit vitaminreichem Obst und Gemüse aus exotischen Ländern bewaffnet und vorbereitet.
 
Die Asylsuchenden, die gerade an solchen Tagen in ihren politischen Vereinen politisch aktiv zu werden oder dort Wache halten, wurden natürlich nicht negativ überrascht und enttäuscht. Denn in letzter Zeit verdoppelte sich an solchen Tagen, besonders an solchen Morgen die Besucherzahl dieser Vereine, weil die Menschen herkommen, um etwas warmes zu Trinken oder zu Essen zu bekommen. Dabei zu klönen, besser gesagt zu tratschen und zu quatschen, war eine nationale Ertüchtigung.
 
Die Schönheitswettbewerbskandidaten und die Schönschreibwettbewerbskandidaten waren auch bei diesem Wetter unterwegs - aber nicht gemeinsam. Die Gewinngierigen kamen wie immer nicht auf die Idee sich zu beruhigen oder zu besinnen. Wie wir es ja seit Ewigkeit daran gewöhnt sind, egal wie das Wetter auch ist, Steuern zu bezahlen ist eine gängige Stadttradition unter diesem Haufen. Ob die Regentropfen irgendwelche Beamten von irgendwelchen Finanzämtern auch nass gemacht haben, wissen wir bis heute nicht.
 
Die Frau, die mit ihrem Nachbarn ihren Mann seit zwei Wochen betrog, machte sich kaum Gedanken über das Wetter und über die Einflüsse und Nebenwirkungen. Der Lieferant vom Discounter an der Ecke war wieder pünktlich und mit hektischen und selbstbestimmenden Bewegungen in ein paar Minuten mit seiner Arbeit fertig. Als er in seinem LKW einstieg, lächelte ihm das zuschauerlose Fenstern stolz und arrogant an. Die redselige alte Frau beim Zahnarzt die auch irgendwo in Hamburg lebte, kam eine Dreiviertelstunde zu früh zu ihrem Termin. Weder die Zahnarzthelferin noch der Zahnarzt zeigten Verständnis und ließen sie nicht eher als sonst jemand anderen rein.
 
Das Hamburger Wetter war eigenartig wie immer. Das Wasser im Hafen tanzte überglücklich in seinen eigenen Wellen oder mit den drauf sich bewegenden Transportmitteln, darunter mit so vielen Passanten, die als potenzielle Kotze mitfuhren. Die Möwen, Geier, Raben, Spatzen, Tauben, Elster und andere Vogelarten von Hamburg waren im Ausnahmezustand. Das kollektive Delirium traf auch die Fische. Je höher sie kamen, desto einfacher war es ohne Angelschein und Erlaubnis sie nur mit verschiedenen Schnäbeln zu fangen.
 
Die Wolken, der Nebel, die Kälte, der Wind und auch der Hagel hatten sich untereinander abgemacht und mischten sich nicht in den Angelegenheiten vom Regen. Es war eine wer weiß wann ausgesprochene Abmachung. Der Busfahrer, dessen Ischiasnerv seit dem letzten Unfall unerwartet beim Fahren nach Lust und Laune verklemmte, hatte besonders Angst vor diesem Wetter.


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Süleyman Deveci, (Criticus)

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